Explorative Expert*inneninterviews
Um mehr über die Erfahrungen von (kommunalen) Verantwortlichen vor Ort über den Umgang mit und die Bewältigung der Coronapandemie zu erfahren, hat PanReflex 28 leitfadengestützte teilstrukturierte Interviews geführt.
Die aufgezeichneten Interviews wurden mit Hilfe eines KI-gestützten Transkriptionstools automatisch transkribiert, manuell nachgebessert und in einer Dokumentation zusammengefasst.
Im Sample sind 10 Städte aus den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern vertreten. Insgesamt haben sich 23 Vertreter*innen deutscher Städte an den Interviews beteiligt. In allen Städten mit einer Ausnahme liegen Perspektiven von mindestens zwei kommunalen Vertreter*innen mit unterschiedlichem Tätigkeitsprofil vor, um das breite Spektrum des Forschungsinteresses adäquat abdecken zu können. Darüber hinaus wurden zur Ergänzung des Samples fünf Interviews mit Expert*innen aus der Beratung, von einer Bundesbehörde, aus einem Klinikum sowie mit Expert*innen, die zur Zeit der Coronapandemie in Landeskrisenstäbe berufen wurden, geführt.
Das Interviewmaterial wurde auf Basis eines Auswertungskonzepts, das sich methodisch an der inhaltsanalytischen Auswertung nach Kuckartz (2018) orientiert, ausgewertet und analysiert. Dabei wurde das Interviewmaterial kodiert und ein umfangreiches Kategoriensystem erstellt. Die Auswertungskategorien beziehen sich auf das übergreifende Auswertungskonzept und wurden bei Bedarf im Verlauf der Analyse durch induktive Kategorien (aus dem Material heraus) ergänzt.
Die Interviews geben Auskunft über Praxis- und Erfahrungswissen in Kommunalverwaltungen über
- das kommunale Krisenmanagement (Krisenvorbereitung, Unterschied zu vorherigen Krisen, Zusammenarbeit innerhalb der Kommunen uvm.),
- die Zusammenarbeit im Mehrebenensystem (zwischen Nachbarkommunen, Land und Bund, Unterstützungsbedarf von Kommunen durch Bund/Land, Veränderungen in der Zusammenarbeit uvm.)
- die Krisenkommunikation (zielgruppengerechte Kommunikation, Sendungsbewusstsein, Anpassung der Kommunikationsweise, -formate und -medien uvm.)
- den Schutz und Angebote für bzw. den Umgang mit vulnerablen Gruppen (Verständnis und Identifikation von Schutzbedürftigen und ihrer Bedarfe, dynamische Anpassung der Bedarfe in der Pandemie, Maßnahmen zum Schutz der Schutzbedürftigen, sozialer Zusammenhalt uvm.).
1. Krisenmanagement
Die Ergebnisse zum Krisenmanagement umfassen einen Einblick in Krisenmanagement-Strukturen sowie die Herausforderungen mit personellen Ressourcen unter Pandemiebedingungen.
- Krisenmanagement-Strukturen waren vor Beginn der Coronapandemie auf die Bewältigung von kurzfristigen Ereignissen ausgelegt. Ein Novum war zudem die Betroffenheit aller Lebens- und damit auch nahezu aller kommunalen Arbeitsbereiche. Um die Krisenmanagementstrukturen sowohl an die Persistenz als auch die thematische Breite anzupassen, entwickelten einige interviewte Städte sich strukturell durch entsprechende Anpassungsmaßnahmen weiter. Hierbei lassen sich drei Ansätze identifizieren: der Cluster- beziehungsweise Netzwerkansatz, die Bildung einer Vielzahl von Lagezentren und die Erweiterung des Stabsaufbaus.
Der Cluster- beziehungsweise Netzwerkansatz richtet sich auf die Bildung von thematischen Clustern, in denen die jeweiligen Themen (z.B. Ausbreitungsgeschehen, Stadtverwaltung, Kommunikation, Krankenhäuser, Öffentlicher Bereich, …) durch die dafür benötigten Partner – sowohl innerhalb der Verwaltung in Form von Ämtern und Fachbereichen als auch mit verwaltungsexternen bzw. privaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren – bearbeitet werden. Diese werden ereignisbezogen an der Bearbeitung der Themen beteiligt.
Die Bildung einer Vielzahl von Lagezentren geht auf die Erkenntnis zurück, dass sich die Coronapandemie auf Grund ihrer Krisenmerkmale nicht alleine durch ein Lagezentrum „Untere Gesundheitsbehörde“ bearbeiten ließ. Im Rahmen der gebildeten thematisch ausgerichteten Lagezentren (z.B. Lagezentrum Wirtschaft, Lagezentrum Kultur, Lagezentrum Veranstaltungen, …) wurden die jeweiligen Probleme und Aufgaben sektoral bearbeitet.
Der besonders hohe Abstimmungs- und Vorplanungsbedarf hat in einer Stadt zur Erweiterung des Stabsaufbaus beziehungsweise zur Erweiterung der Einsatzleitung um weitere Sachgebiete geführt. Nach militärischem Vorbild wurden die Sachgebiete 7 (Einsatzplanung, Aufbau von Einsatzoptionen), 8 (Verwaltungsabstimmung) und 9 (Abstimmung mit anderen Behörden) ergänzt und auch für die Bearbeitung der Ukraine-Krise beibehalten. Die Trennung von Einsatzdurchführung (Sachgebiet 3) und Vorplanung (Sachgebiet 7) stellt eine Trennung von operativem und strategischem Geschäft dar. Sie macht es unter anderem die systematische Auseinandersetzung mit Exitstrategien – wie die Pandemie beendet werden könnte – möglich.
In diesen Weiterentwicklungsmaßnahmen zeigen sich insbesondere Bemühungen, die vorhandenen Strukturen an die Bearbeitung der thematischen Breite der Coronapandemie anzupassen. - Personelle Ressourcen waren im Rahmen der kommunalen Bewältigung der Coronapandemie in zweierlei Hinsicht essenziell: sowohl die Verfügbarkeit von ausreichend Personal als auch die vorhandenen Kompetenzen sind ein entscheidender Einflussfaktor.
Die besondere Herausforderung bestand während der Coronapandemie darin, kurzfristig, aber für längere Einsatzdauer und für ein breites Themenspektrum Personal für die Krisenbewältigung zur Verfügung zu stellen. Das implizierte Maßnahmen zur Neugewinnung von Personal wie auch zur Umschichtung innerhalb der Verwaltung sowie des Schutzes. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Steuerung durch das für Personalwesen zuständige Amt und dessen Einbindung in die Krisenbewältigung.
In einer Stadt wurde die Arbeit des entsprechenden Amtes mit Blick auf sein Engagement, Personalbedarfe zu decken und den Belastungen der Mitarbeitenden durch personelle Entlastung zu begegnen, positiv hervorgehoben. So konnte in dieser Stadt neues Personal auch kurzfristig über Zeitarbeit eingestellt werden, obwohl dafür außerhalb von Krisen im Regelbetrieb größere zeitliche Vorläufe notwendig sind. Auch war es möglich, Auszubildende flexibler einzusetzen. Zugleich berichteten Interviewpersonen von der wahrgenommenen Dysbalance zwischen Verwaltungsbereichen, deren Mitarbeitenden hohen Belastungen ausgesetzt waren und zu deren Entlastung personelle Unterstützung notwendig gewesen wäre, und Verwaltungsbereichen mit geringerer personeller Auslastung und Potenzial, personelle Unterstützung zu entsenden. Gründe für das Ausbleiben von ämterübergreifender Unterstützungsleistungen können den Interviews zufolge unter anderem in- einer mangelnden Prioritätensetzung (welche Bearbeitung hat Vorrang?),
- befürchteten Nachteilen für das entsendende Amt (zeigt die Entsendung, dass ein langfristiger Personalabbau machbar wäre?)
- der Sorge vor langfristigem Verlust des entsandten Personals (nachher finden entsandte Mitarbeitende andere Tätigkeiten attraktiver und kommen nicht zurück?) oder
- persönlichen Motiven der Mitarbeitenden (Präferenz für Dienst nach Stellenbeschreibung)
liegen.
Der eingeschränkte Rückgriff auf einen begrenzten Mitarbeitendenpool hat die ohnehin vorhandene Belastung von einigen Mitarbeitenden verstärkt. Denn die Coronapandemie hat eine kontinuierliche, fachspezifische und in höchstem Maße verantwortungsvolle Bearbeitung erfordert. Zudem sahen sich die Verwaltungsmitarbeitenden in einer Doppelrolle aus einerseits als Bearbeitende der Krise und als Vertrteter*innen der öffentlichen Hand auch ein Stück weit als Vorbilder sowie andererseits gleichzeitig als Betroffene der Krise. Durch die erforderliche Intensivierung der Arbeit sahen sich die Verwaltungsmitarbeitenden zusätzlichen besonderen Belastungen ausgesetzt, die sich auch im Privat- und Familienleben niedergeschlagen haben. Darüber hinaus weisen die Interviewpersonen auf mangelnde Wertschätzung und Belohnung für das geleistete Engagement in der Krisenzeit sowie auf Herausforderungen im Umgang mit geleisteten Überstunden hin.
Neben der mangelnden Verfügbarkeit von Personal wurde zum Teil auch der Trainings- und Erfahrungsgrad bemängelt. Personal, dass in zweiter Reihe zur Krisenbewältigung eingesetzt wird, ist zu wenig geschult, da nur die „A-Riege“ wirklich trainiert ist. Damit wird ein Fortbildungsbedarf konstatiert, der auch das Sammeln praktischer Erfahrung, z.B. in der Krisenstabsarbeit, vorsieht.
In den Interviews lassen sich Äußerungen zu notwendigen Krisenkompetenzen finden. Hervorgehoben wurden u.a. Kompetenzen wie in Prozessen denken zu können, der Agilität, Priorisierungsfähigkeit, diplomatisches Geschick, Besonnenheit (Ruhe bewahren), Entscheidungsmut und stringente Führung. Als eine Grundvoraussetzung für erfolgreiches Krisenmanagement kann eine hohe Bereitschaft beziehungsweise ein hohes Engagement identifiziert werden. Ein Erfolgsfaktor für die Krisenbewältigung sind demnach handelnde Personen respektive „Macher*innen“.
Alles in allem zeigt die Auseinandersetzung mit personellen Ressourcen, dass ein kompetenzbasierter Personaleinsatz vorteilhaft sein kann. In einer Stadt wurde daher ein „Matching“-Verfahren etabliert, das zu lösende Probleme und entsprechendes Personal zusammenbringt.
2. Zusammenarbeit im Mehrebenensystem
Kooperationszusammenhänge wurden im Rahmen der Interviews auf drei Ebenen betrachtet. Diese umfassen die Zusammenarbeit im föderalen System zwischen Kommunen, Ländern und Bund sowie die Zusammenarbeit mit Nachbarkommunen, aber auch die Kooperation mit weiteren Institutionen.
- Mit Blick auf die Zusammenarbeit zwischen Kommunen, Ländern und Bund wurde in den Interviews auf Missstände hingewiesen, die sich auf die Umsetzbarkeit von Regeln auf der kommunalen Ebene, die Einhaltung von Meldewegen sowie die Kurzfristigkeit von Verordnungen beziehen.
Großer Handlungsdruck ist auf kommunaler Ebene nicht nur auf Grund des dynamischen Infektionsgeschehens und des hohen Informationsdrucks seitens der Bürger*innen entstanden. Er ist auch durch die kurzfristige Übermittlung von Verordnungen inklusiver kurzer Umsetzungsfristen für die Kommunen sowie durch die länderspezifisch unterschiedlichen Regelungen und dem Aufsetzen neuer Regelungen in kürzeren Abständen evoziert worden. Die fehlende Einheitlichkeit von Regeln habe die interkommunale Zusammenarbeit erschwert sowie zu der Notwendigkeit geführt, kontinuierlich neue lokalspezifische Kommunikationsstrategien entwickeln zu müssen. Eine Verschärfung dieser Situation brachte die Missachtung von Meldewegen mit sich. Diese war gekennzeichnet dadurch, dass neue Vorgaben bereits in Pressekonferenzen verkündet wurden, ehe Kommunen informiert worden waren. Hierdurch waren die Kommunen zusätzlichen Nachfragen aus der Bevölkerung ausgesetzt, ohne in die Lage versetzt worden zu sein, diese nach Prüfung der Verordnungen und ihrer Umsetzung auf lokaler Ebene adäquat beantworten zu können. Eine zusätzliche Herausforderung bestand für die interviewten kommunalen Vertreter*innen in der Operationalisierung der Vorgaben und Verordnungen von Bundes- und Länderseite. In dieser Hinsicht hätten Vorschläge von Kommunen bei den vorgelagerten Institutionen zu wenig Berücksichtigung gefunden und zugleich seien die restriktiven Maßnahmen der Verordnungen kaum vor Ort umsetzbar gewesen. Die Zusammenarbeit im föderalen System war demnach stark vom top-down-Prinzip geprägt.
Positiv wird hervorgehoben, dass der Deutsche Städtetag eine Vermittlerrolle eingenommen und Telefonkonferenzen zum Thema Impfen organisiert hat. Hierdurch konnte ein Format gefunden werden, um Fragen der Kommunen zu identifizieren, interkommunal zu bündeln und auf Sachebene zu diskutieren. Dabei konnten auch Best Practices identifiziert werden, sodass die Kommunen voneinander lernen konnten.
Darüber hinaus verschaffen bisweilen persönliche Kontakt und Netzwerke in Bundes- oder Länderinstitutionen einigen Städten Informationsvorteile. Hier scheinen vor allem größere Städte privilegiert zu sein. Nicht in allen Fällen sind persönliche Netzwerke jedoch ein Garant.
Für die interkommunale Zusammenarbeit wurden durch die differenzierten Regelungen erschwerte Rahmenbedingungen wahrgenommen. In den Interviews wurde neben dem Deutschen Städtetag keine weitere Institution zur gemeinsamen Abstimmung und der Bearbeitung der Interessen von Nachbarkommunen oder regionaler Belange benannt. In Nordrhein-Westfalen gibt es zwar den Regionalverband Ruhr, der bspw. im Kontext der Gasmangellage bemüht wurde, um interkommunalen Austausch herzustellen. Jedoch hat dieser keine aktive Rolle während der Bewältigung der Coronapandemie eingenommen.
Stattdessen lässt sich eine Ausweitung der Zusammenarbeit mit ökonomischen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen aus den Interviews wahrnehmen. Beispiele hierfür stellen die Kooperation mit Eventbetreibenden zur Organisation des Ticketings für die Impfungen und Coronatest sowie zum Aufbau von Teststationen dar. In einer Stadt kam es auf Grund eines persönlichen Kontakts zu einer Zusammenarbeit mit der Ergo-Versicherung, die auf Basis ihrer Erfahrungen im Call-Center-Betrieb beim Aufbau eines kommunalen Hotline-Systems unterstützte. Hierbei handelt es damit aber offenbar eher um eine zufällige Kooperation.
3. Krisenkommunikation
Auch der Bereich der Kommunikation stand durch die Charakteristika der Krise neuen Herausforderungen gegenüber. Dazu zählen etwa die ephemere Informations- und Wissenslage, die Vermittlung heterogener Regelungen, eine zunehmende Konfrontation mit Desinformation und Fake News sowie die Notwendigkeit, die Bevölkerung kommunikativ durch die lange Dauer der Coronapandemie zu führen und zwischen den föderalen Ebenen und der Bevölkerung zu vermitteln. Auch hier zeigen sich Tendenzen der Weiterentwicklung und Anpassung an die gegebenen Herausforderungen.
- Trotz der ephemeren Informations-, Wissens- und Regelungslage folgte die Krisenkommunikation in weiten Teilen der Prämisse größtmöglicher Transparenz und dem Anspruch nach Aufklärung. Hierunter wird im Rahmen der Interviews eine offensive Kommunikation ohne Zurückhaltung von Informationen verstanden, was auch die Rücknahme von Maßnahmen einschließt. Zugleich gab es dennoch Informationen, bei denen sich gegen eine offene Kommunikation entschieden wurde. Begründet wird dies mit einem fehlenden informationellen Mehrwert für die Öffentlichkeit. Das betrifft Informationen zum soziokulturellen Hintergrund von Infizierten in Krankenhäusern ohne Impfstatus.
- In den Interviews wird der Bedeutungsgewinn von Social Media in der Krisenkommunikation deutlich. So wurden bspw. Social Media Teams während der Coronapandemie aufgestockt, Social Media Expertise hinzugeholt, Social Media Redakteure eingestellt, Social Media Stabsstellen etabliert und die Dienstzeiten ausgeweitet. Hier wurden u.a. auch neue Formate angewendet, wie z.B. Live Interviews (Instagram Live), eine digitale Sprechstunde beziehungsweise Mini-Talk-Formate auf Instagram, Facebook-Posts, (Video-)Podcasts, Sprachnachrichten per Whatsapp und die Aufbereitung von Frequently Asked Questions (FAQs). Gleichzeitig lassen sich Stimmen vernehmen, die die Vertrauenswürdigkeit und Handhabbarkeit von Social Media Plattform wie bspw. Twitter in Frage stellen (Twitter als „schlimmster Fall“, um die Bevölkerung zu erreichen, da über das Medium kaum oder nur unvollständig Informationen vermittelt werden könnten). Auch auf einen Kontrollverlust im Zusammenhang mit z.B. Telegram-Gruppen, die sich der Einflussnahme entziehen und gleichzeitig Ort für Verschwörungstheorien sind, wird verwiesen.
- Grundsätzlich ergibt sich ein Bild einer diversifizierten kommunalen Mediennutzung, denn die interviewten Kommunen berichten von einer großen Bandbreite genutzter Medien. Diese reichen von Printmedien wie Zeitung und Post über Radio, Internetmedien und Telefonie (Hotline) sowie Presseformaten bis hin zu Straßenwerbung. Hierin lässt sich die Entwicklung eines breiten Kommunikationsansatzes erkennen, in dem Bemühen, verschiedene Empfängergruppen adäquat zu erreichen. In einem Interview wird deutlich, dass dies eine positive Konsequenz aus der lang anhaltenden Dauer der Coronapandemie darstellt, denn diese hat dazu beigetragen, Empfängergruppen stärker als zuvor ausdifferenzieren zu können. Demnach sind nicht nur Bürger*innen in all ihrer Unterschiedlichkeit, sondern weitere Zielgruppen jeglicher Art wie etwa die Stadtverwaltung inklusive ihrer Services und städtischen Betriebe sowie die Stadtpolitik Empfängergruppen kommunaler Krisenkommunikation.
- Die Tatsache, dass es keine erprobten Maßnahmen zur Bewältigung der Coronapandemie gab und die Wirksamkeit und Durchführbarkeit von Maßnahmen unbekannt sowie sich in geringem Maße vorhersehbar zeigte, hat die Kommunen in einen Trial-and-Error-Modus versetzt. Dieser stellte eine besondere Herausforderung für die Krisenkommunikation mit Blick auf die Glaubwürdigkeit und Legitimität dar. In den Interviews wird die Erfordernis deutlich, in zukünftigen Krisen stärker für diese Situation als Lernfeld für Kommunen zu sensibilisieren und zu erklären, dass Maßnahmen zu einem Zeitpunkt und bei vorliegendem Kenntnisstand für richtig gehalten werden, diese bei einem neuen Kenntnis- und Sachstand ggf. aber revidiert werden müssen. So kann glaubhafter vermittelt werden, wenn Maßnahmen nur temporär durchgeführt oder wieder zurückgenommen werden.
- In einem Interview wurde auf „empathiefördernde Kommunikation“ verwiesen. Diese sei in Anbetracht der langen Dauer der Coronapandemie sowie mit Blick auf das erforderliche Commitment der Bürger*innen notwendig gewesen. Durch empathiefördernde Maßnahmen sollte die Motivation der Bürger*innen adressiert werden, die vorgeschlagenen Maßnahmen zu befolgen. Als Beispiel für empathiefördernde Kommunikation wurde auf Berichte zur Lage in den Krankenhäusern sowie Porträts von Krankenhauspersonal und pflegendem Personal verwiesen.
4. Umgang mit vulnerablen Gruppen
- Auf die Frage nach der Identifikation von „vulnerablen Gruppen“ zeigte sich ein heterogenes Antwortspektrum ohne Verweis auf eine allgemeingültige Definition. Zu ihrer Identifikation wurden unterschiedliche Ansätze verwendet wie etwa medizinische Ansätze via Mortalitätsraten und Gesundheitsparameter (z.B. Sterberate, Alter, Heim- / Pflegestatus, Erkrankte (auch psychisch Kranke)), sozial-räumliche Kontextbedingungen und sozialer Status (z.B. Menschen in Armut, Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund) und die Differenzierung nach Selbsthilfepotenzialen beziehungsweise „Capability“ von Gruppen. Letztere Ansätze gehen davon aus, dass ein Handlungsbedarf für Kommunen dann vorliegt, wenn der Bedarf besteht, die Fähigkeiten und Ressourcen von Personengruppen zu fördern und zu unterstützen. (Prä-)Dispositionen können sich dabei nachteilig auf die Fähigkeiten und Ressourcen von Personengruppen auswirken und damit Anzeichen für einen Unterstützungsbedarf darstellen. Der Unterschied zwischen fähigkeits- und ressourcenorientierten Ansätzen zu denen der Vulnerabilität besteht darin, dass erstere ihren Fokus auf die Handlungsfähigkeit von Personengruppen richten – sie verfolgen das Ziel zu befähigen anstelle zu beschützen.
- Im Vergleich zum Feld „Krisenkommunikation“ lässt sich im Rahmen der Interviews nicht sagen, dass „vulnerable Gruppen“ generischer Bestandteil des Krisenstabs im Rahmen der Coronapandemie waren. Presseämter wurden als direkter Bestandteil von Krisenstäben benannt während diese Deutlichkeit im Themenfeld „Vulnerable Gruppen“ nicht zu Tage tritt. Ämter, die für vulnerable Gruppen zuständig sind (z.B. Sozialamt, Integrationsamt, …) können aber (temporärer) Bestandteil des Krisenstabs sein oder hinzugezogen werden. Das bedeutet in der Regel, dass einzelne Vertreter*innen aus entsprechenden Ämter im Rahmen des Krisenmanagements Verantwortung für vulnerable Gruppen übernehmen. Die Zusammensetzung aus mangelnder allgemeingültiger Definition und Vertretung der Interessen vulnerabler Gruppen durch Einzelpersonen und / oder Ämter führt in der Konsequenz dazu, dass die subjektiven Vorprägungen dieser Personen Einfluss auf die Wahrnehmung und Identifikation von vulnerablen Gruppen nehmen. Bspw. kann dies bedeuten, dass qua Amtszuschnitt eine erhöhte Sensibilität für „ältere Menschen“ oder eine erhöhte Sensibilität für die Belange von Kindern und Jugendlichen durch persönliche Berührungspunkte vorliegt. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass eine heterogene und diverse Zusammensetzung von Entscheidungsträger*innen umso entscheidender für eine differenzierte Betrachtung von vulnerablen Gruppen ist. Eine entscheidende Rolle spielte in dem Zusammenhang auch die Einbindung von externer Expertise und von Netzwerken als Multiplikator*innen, Vermittler und zum Teil Fürsprecher von Gruppen und ihren Belangen.
- Auch der Umgang mit vulnerablen Gruppen war gekennzeichnet durch die Merkmale der Pandemie in ihrer lang anhaltenden Dauer und in ihren Wandlungsphasen. Dies macht sich vor allem daran bemerkbar, dass sich die Vulnerabilitäten bzw. Merkmale / Faktoren, anhand derer Personengruppen als vulnerabel gelabelt wurden, im Verlauf der Pandemie verschoben haben. Demnach kann nicht von „der einen“ vulnerablen Gruppe während der Coronapandemie gesprochen werden. Der Fokus auf Betroffenheitsgruppen hat sich vielmehr entsprechend der Fokusthemen der Pandemiebewältigung angepasst: Zu Beginn standen bspw. „ältere Menschen“ entsprechend dem Fokusthema Schutzbedarf, Verhinderung von Todesfällen und Impfpriorität im Vordergrund. Im weiteren Verlauf richtete sich die Aufmerksamkeit verstärkt auf Kinder und Jugendliche im Kontext des Fokusthemas der Auswirkungen der Pandemie und ihrer Bewältigungsstrategien auf Bevölkerungsgruppen. Daraus lässt sich eine primäre Vulnerabilität ableiten, die virus-induziert ist. Sie ist gekennzeichnet durch ein Verständnis von Vulnerabilität, das direkt aus den (tödlichen) Folgen von SARS-COV abgeleitet ist. Die primäre Vulnerabilität impliziert eine kurzfristige Betrachtung von Vulnerabilität, d.h. sie wird aus dem ad-hoc-Geschehnis abgeleitet ohne mögliche Folgeeffekte zu berücksichtigen. Die sekundäre Vulnerabilität ist Maßnahmen-induziert, d.h. die Vulnerabilität ist eine Konsequenz aus dem weiteren Verlauf der Coronapandemie sowie den getroffenen Maßnahmen. Damit ist ihr eine langfristigere Betrachtung von Vulnerabilität immanent, die einen prospektiven Blick einschließt. In Anbetracht dieser Ansätze, Vulnerabilität zu betrachten, stellt sich die Frage, wie zukünftig bereits während der Krisenbewältigung Kaskadeneffekte – wie die Folgen, die sich aus Maßnahmen für bestimmte Bevölkerungsgruppen ergeben können – Berücksichtigung finden können.
Insgesamt kamen die Interviewteilnehmenden zu der Einschätzung, dass die Krise von den Kommunen bewältigt wurde („wir haben alles erreicht“). Sowohl im Krisenmanagement als auch in der Krisenkommunikation sind deutliche Anpassungen an die Bedingungen einer Langzeitkrise zu identifizieren. In diesem Sinne war die lange Dauer der Krise Herausforderung und zugleich Potenzial: Sie hat dazu beigetragen, Strukturen, Prozesse, Services und Netzwerke auszubauen und tragfähiger zu gestalten. Inwiefern es gelingt, das Krisenmanagement dadurch (weiter) zu professionalisieren und stetig weiterzuentwickeln, muss sich an Hand weiterer Krisenbewältigungen zeigen.
Digitale Plattform Kommunales Krisenmanagement
Ein zentrales Ergebnis des PanReflex Projektes ist diese Wissensplattform. Sie soll dazu beitragen, die Resilienz der Kommunen bei der Bewältigung zukünftiger Krisen zu stärken und wird auch nach Projektende weiter gepflegt und aktualisiert.